Eine persönliche Erinnerung an die Künstlerin Irene Müller

Irene Müller war eine bekannte Künstlerin aus meinem Heimatort Gütersloh. Meine Großmutter väterlicherseits kannte bereits ihre Mutter, wodurch eine wunderbare Freundschaft zwischen Irene und meiner Mutter entstand.

Bei ihren Besuchen saß sie oft mit meiner Mutter im Garten, trank Tee und erzählte von ihren letzten Berlin-Reisen oder aktuellen Ausstellungen. Ich liebte es, in ihrer Nähe zu spielen und ihren Gesprächen zu lauschen. Sie brachte stets Fotos, Postkarten oder sogar originale Kunstwerke mit.

Schon als Kind bewunderte ich Irene dafür, dass sie einfach sie selbst war. Sie verstellte sich für niemanden und hatte eine ganz eigene, unkonventionelle Sicht auf die Welt.

Ausstellungen und künstlerischer Ausdruck

In meiner Kindheit besuchte ich gemeinsam mit meiner Mutter viele von Irenes Ausstellungen an verschiedenen Orten in der Region. Besonders beeindruckend fand ich ihre Tanzeinlagen, die sie zu jeder Ausstellungseröffnung vorführte. Ihr Ausdruckstanz war vielleicht für manche ungewohnt, aber für mich eine perfekte Ergänzung zu ihrer Kunst.

In Erinnerung geblieben sind mir auch die sehr wenigen Besuche bei Irene zu Hause. Sie lebte in einem Reihenendhaus, an das sie sich einen kleinen Turm mit einer Skulptur obendrauf hatte bauen lassen – ein tanzendes Mädchen. Ich habe mich ja immer schnell überall wohl gefühlt. Ich liebte es, über die Wendeltreppe in den Turm zu steigen und mich dort umzugucken.

 

Ihr Haus war genau gleich vom Schnitt wie das von meiner Oma, die ganz in der Nähe wohnte – doch trotzdem war es so ganz anders. Ihr Wohn- und Esszimmer waren gleichzeitig ihr Atelier – überall standen Farben, Pinsel, Leinwände und Skulpturen. Hier arbeitete sie unermüdlich an ihren Werken. Ihr verwunschener Garten mit Apfelbäumen und wuchernden Pflanzen war ein magischer Ort, an dem ich gerne umherschlich.
Als ich auf die weiterführende Schule kam, klingelte ich manchmal spontan an ihrer Tür. Irene schaute mich dann oft verwundert an, hielt einen kurzen Plausch mit mir und dann fuhr ich weiter nach Hause.

In meiner Abschlussarbeit in Kunstgeschichte habe ich mich intensiv mit Irene Müller und ihrem Werk beschäftigt. Es war ganz wunderbar, noch einmal so tief einzutauchen und alles aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ich habe Irene immer sehr bewundert und großen Respekt vor ihr gehabt. Auch wenn sie vielleicht manchmal ein wenig eigensinnig war, war sie vor allem eines: eine unglaublich inspirierende Persönlichkeit, die so viel von ihrer Welt zu geben hatte.

Sie entdeckte in den kleinen Dingen das Besondere, kletterte auf Bäume, sammelte kugelige ‚Wucherungen‘ die sie an Bäumen fand. Irene ist immer jung geblieben – mit einer fast kindlichen Neugier. Genau das ist es, was ich so an ihr und ihrer Kunst bewundere.

Wenn man ihre Bilder betrachtet, öffnet sich sofort eine andere Welt. Schon als Kind habe ich stundenlang ihre Werke angeschaut – einige Originale und Drucke hingen bei meinen Eltern zu Hause – und bin dabei regelrecht in eine andere Welt eingetaucht. Ich habe mir Geschichten zu ihren Bildern ausgedacht – und manchmal passiert mir das auch heute noch.

Irene Müller zu besuch bei uns Zuhause im Atelier meiner Mama

Irene Müllers Werdegang

Irene Müller wurde 1941 geboren. Sie begann ihre künstlerische Laufbahn mit einer Ausbildung als Töpferin in Gütersloh. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich von meiner Oma einst Tassen erhielt, die Irene damals getöpfert hatte. Später studierte sie Bildhauerei an der Werkkunstschule Bielefeld und anschließend Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Ab 1968 nahm sie zudem Tanzunterricht bei Mary Wigman in Berlin.

Jedes Jahr fuhr sie nach Berlin, um dort Bühnenbilder für eine Travestie-Show zu gestalten – manchmal trat sie sogar selbst auf. Später schuf sie auch mehrere Bühnenbilder für das Theater in Gütersloh.

Die Kunst von Irene Müller

Irenes Bilder strahlen eine gewisse Melancholie und Einsamkeit aus. Ihre Farben sind zurückhaltend und entsättigt, ihre Motive bewegen sich in einer traumhaften Zwischenwelt, oft im Zwielicht. Ihre Figuren wirken elfenhaft, ihre Körperhaltungen erinnern an einen Ausdruckstanz.

Es ist diese einzigartige Mischung aus Traurigkeit und Schönheit, die ihre Werke so besonders macht. Sie laden zum Träumen und Nachdenken ein.
Meine Abschlussarbeit in Kunstgeschichte widmete ich Irene Müllers Leben und Werk. Es war eine wunderbare Erfahrung, mich noch einmal aus einer analytischen Perspektive mit ihrer Kunst auseinanderzusetzen.

Irene Müller hat mein Verständnis für Kunst und Individualität nachhaltig geprägt. Ihre Welt war eine eigene – und doch lud sie andere ein, daran teilzuhaben. Ich bin dankbar, dass ich ein Stück davon erleben durfte.

Leider ist Irene im Frühjahr 2024 verstorben.